“Jeder Liter Milch, den ich produziere, ist für mich ein Verlust”. Diese Aussage meines Vaters machte mich so traurig und wütend zugleich, dass ich 2018 beschloss, etwas zu unternehmen. Voller Tatendrang informierte ich mich über das Züchten von Insekten, den Anbau von Hanf oder die Käseherstellung. Auch mit der Sporternährung befasste ich mich und funktioniere die Küche kurzerhand in eine Proteinriegel-Backstube mit integrierter Milchshake-Produktion um. Ziel war es, meinen Eltern mittels Direktvermarktung zu neuen Betriebszweigen zu verhelfen, um weniger abhängig von der Milchpreisentwicklung und den Direktzahlungen zu sein.

Fragwürdige Entwicklung

Doch was bringt es, meiner Familie zu helfen, wenn gleichzeitig in der Schweiz fast drei Betriebe pro Tag schliessen? Die Landwirtschaft rentiert für viele nicht mehr. Investitionen Fehlanzeige. Viele können sich mit den Direktzahlungen des Bundes gerade mal über Wasser halten. Kein Wunder, erhält doch ein Milchbauer immer noch fast gleich viel für einen Liter Milch (aktuell ca. 55 Rp.) wie vor 50 Jahren, obwohl sich der Ladenpreis in derselben Zeit verdoppelt hat. Sogar die Umstellung auf Bio ist für einige beim besten Willen finanziell nicht einmal umsetzbar. Und wer es schafft, hat keine Garantie, dass er am Ende für die zusätzliche Arbeit entsprechend entschädigt wird. Dies hat eindrücklich eine Studie des Konsumentenmagazins K-Tipp vom Juni 2020 bewiesen, welche die Preiszusammensetzung von Label-Fleisch untersuchte (siehe Video ab 8.55 min).

Hat die Landwirtschaftspolitik versagt?

Wenn ein Liter Milch weniger hergibt, als die Herstellung kostet, und jede Preiserhöhung zu Gunsten der Detailhändler geht, kann etwas mit dem System nicht stimmen. Die Konsumenten wünschen sich eine naturfreundliche Landwirtschaft. Gleichzeitig werden laufend neue Schädlinge aus dem fernen Ausland eingeschleppt, die den hiesigen Kulturen arg zu schaffen machen und deren Bekämpfung einen beachtlichen Mehraufwand nach sich zieht. Weniger Spritzmittel bedeuten höhere Ernteeinbussen. Die biologische Landwirtschaft muss sich also finanziell lohnen, was sie aktuell zu wenig tut.

Ein Zeichen setzen

Mit jeder krummen Karotte, die wir als Konsumenten wieder zurück ins Regal legen, geben wir den Detailhändlern ein Zeichen. Ein Zeichen, dass nur perfekt geformte Lebensmittel gekauft werden. Kein Wunder, dass einige Früchte und Gemüse heute zwar optisch überzeugen, geschmacklich aber nie an die Tomaten und Gurken vom eigenen Garten herankommen. Und vor allem diejenigen, die sich gegen die Lebensmittelverschwendung einsetzen, sollten ihr Einkaufsverhalten überdenken. Um den Geschmack zurück auf unsere Teller zu holen, braucht es aber nicht nur uns Konsumenten, sondern auch die Detailhändler und die Politik, indem sie klare Anreize schafft, nährstoffreiche und geschmackvolle Lebensmittel Nahrung zu kostendeckenden Preisen zu produzieren.

Neue Wege dank Direktvermarktung

Die Kosten decken, doch wie? Mir wurde bei all den Recherchen bewusst, dass viele Konsumenten zwar bereit sind, höhere Preise für ihre Nahrung zu zahlen, den Bauern jedoch nur ein Bruchteil dieser Mehreinnahmen weitergegeben wird. Aus diesem Grund sehe ich die Direktvermarktung als einzige, in absehbarer Zeit umsetzbare, Lösung.

Doch wie sinnvoll ist es, mich einzig auf den (doch eher kleinen) Betrieb meiner Eltern zu beschränken? Weshalb nicht gleich allen Schweizer Bauern einen Internetauftritt ermöglichen, um ihr Angebot zu präsentieren? Gesagt, getan. Als ausgebildete Primarlehrerin und Bankerin wagte ich mich kurzerhand ans Programmieren. Glücklicherweise erhielt ich Unterstützung von Urs Schlegel aus Schwyz, der mich bis heute mit hilfreichen Tipps und Tricks unterstützt. Auf Mucca.ch aufmerksam wurde er dank meinem Spendenaufruf auf wemakeit.com, mit dem ich die Seite bekannt machte und sie auf Deutsch, Französisch und Italienisch präsentierte (siehe Video vom Mai 2018).

Immer motiviert bleiben

Danach ging alles recht schnell: Ich wurde von diversen Unternehmen und Beratern angeschrieben, die mich treffen wollten. Einige versuchten sogar, mich von meinem Vorhaben abzuhalten oder sich daran zu beteiligen. Doch ich blieb stets motiviert und bin stolz darauf, auch heute noch unabhängig zu sein und frei schreiben zu können. Nur dank meinem starken Willen und der Hartnäckigkeit kann ich immer noch laufend neue Profile online schalten, Blog-Artikel publizieren und mich über jede positive Rückmeldung freuen, wenn es mit der Direktvermarktung klappt.

Und obwohl die Administration einer solchen Plattform ziemlich zeitaufwendig ist und ich nebst dem 100%-Pensum noch eine Weiterbildung absolviere, werde ich auch in Zukunft für eine nachhaltige Landwirtschaft kämpfen. Denn nur, wenn die Produzenten und Konsumenten wieder näher zusammenrücken, der bewusste Umgang mit LEBENsmitteln gefördert und die Bereitschaft, faire Preise zu zahlen, erhöht wird, hat die Schweizer Landwirtschaft und damit tausende Familienbetriebe überhaupt eine Chance.

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