Tierwohl oder das eigene Portemonnaie – was ist dem Schweizer Stimmvolk wichtiger? Mit ihrer Initiative möchte «Sentience Politics» mit Grüne-Nationalrätin Meret Schneider den Konsum von Tierprodukten reduzieren und Importvorschriften einführen. All dies zu Gunsten der Tiere und der Natur. Doch was bedeutet dies für die Konsumenten und die Landwirte? Mucca.ch verschafft einen Überblick über die wichtigsten Argumente und mögliche Folgen der Massentierhaltungsinitiative (MTI).
Forderungen der Massentierhaltungsinitiative
– Tierfreundliche Unterbringung mit mehr Platz, artgerechter Fütterung, Spielmöglichkeiten
– Täglicher Weidezugang und langsamer wachsende Rassen
– Schonende Schlachtmethoden mit kurzen Transportwegen und besserer Kontrolle der Betäubung
– Maximale Gruppengrössen und weniger Tiere pro Hektar Weidefläche
– Importvorschriften, sodass nur noch Tierprodukte in die Schweiz gelangen, die alle Standards erfüllen
Ein Wandel in der Landwirtschaft erklärt Meret Schneider im Interview zum Ziel der Initiative. Weidetiere wie Rinder, Kühe, Schafe und Ziegen passen besser zur Topografie der Schweiz, wo Grasland rund zwei Drittel der landwirtschaftlichen Nutzfläche ausmacht. Gleichzeitig sollen die Rindvieh-Bestände aber auf die von Bio-Suisse geforderten Standards reduziert werden, obwohl die Gegner davon sprechen, dass das Schweizer Tierschutzgesetz bereits jetzt „zu den strengsten weltweit“ gehört.
Stand heute erhalten Landwirte, die ihre Tiere nach den RAUS-Richtlinien (regelmässiger Auslauf) halten, einen jährlichen Zustupf, wenn sie zum Beispiel ihre Tiere im Sommer mind. 26 Tage pro Monat auf die Weide lassen. Bei den Legehennen sind aktuell in der Schweiz maximal 18’000 Tiere pro Betrieb erlaubt, deren 4’000 für Bio-Bauern. Im nahen Ausland sind die Zahlen entsprechend höher: In Deutschland sind Betriebe mit über 100’000 Legehennen keine Seltenheit, teilweise sind es bis zu 600’000.
Die Landwirtschaft der Zukunft
Die Schweizer Landwirtschaft verändert sich rasant: Während im Jahr 2000 noch rund 70’000 Familienbetriebe für unsere Ernährung sorgten, waren es 2020 noch 50’000 – ein Rückgang von 30%. Expandieren, wirtschaftlicher arbeiten, kostendeckend produzieren: Sinkende Produzentenpreise zwangen viele Bauern in den letzten Jahren, billiger zu produzieren und Flächen dazuzukaufen. Inwiefern dies gut für die Umwelt war, sei dahingestellt. Die MTI fordert nun mehr Platz für weniger Tiere, was den Rückgang der Betriebe und damit verbundene Arbeitsplätze noch beschleunigen dürfte. Schon heute sind Direktzahlungen für einige Bauern überlebenswichtig. Für Meret Schneider ist das sinkende Fleischangebot ein Schritt in die richtige Richtung, um aus Klima- und Ressourcengründen den Konsum von Tierprodukten zu reduzieren.
Eine Gratwanderung
Ob und in welchem Ausmass die Schweizer Bürger in Zukunft auf ihr Fleisch verzichten, ist nicht klar. Erhebungen gehen davon aus, dass bei einer Annahme der Initiative der Selbstversorgungsgrad beim Poulet von heute 58% auf 5% und beim Schweinefleisch von 92% auf 50% zurückgehen würde – sofern nicht gleichzeitig der Konsum drastisch zurückgeht. Die Schwierigkeit ist also, das Schweizer Fleisch nach Bio-Richtlinien zu produzieren, während sich auch die Konsumenten an der Nase nehmen und weniger Fleisch essen, mehr für Qualität bezahlen möchten und Food-Waste vermeiden.
Umdenken muss stattfinden
Fakt ist, dass der Fleischkonsum pro Kopf in der Schweiz im 2021 sogar gestiegen ist. Und es ist kein Geheimnis, dass höhere Preise zu mehr Einkaufstourismus führen. Für ausländische Tierprodukte fordert die Initiative dieselben Standards. Es darf nur noch importiert werden, was den Schweizer Vorgaben entspricht. So sollte beispielsweise brasilianisches Poulet oder gentechnisch verändertes argentinisches Rindfleisch verboten werden. Es ist jedoch nicht klar, wie diese Importware kontrolliert wird. Ob beispielsweise auch die einzelnen Inhaltsstoffe von verarbeiteten Produkten den MTI-Standards entsprechen müssen, ist nicht definiert. Die Initianten sprechen von einem «pragmatischen Ansatz», weil es zu aufwändig wäre, die Zutaten eines Fertigprodukts auf die Einhaltung der Schweizer Standards zu überprüfen, ob also z.B. Eier aus Käfighaltung drin sind. Zudem würden mit den neuen Vorgaben wohl einige internationale Verpflichtungen verletzt.
Finanzielle Auswirkungen
Die Mehrkosten der MTI müssen vom Bund und vom Markt gedeckt werden- und somit von uns Konsumenten. Meret Schneider geht davon aus, dass die geforderten Stallumbauten und Reduktion der Tierbestände rund CHF 400 Mio. kosten. Weiter müssten die Rindvieh-Betriebe, die aktuell ca. CHF 5’000 p.a. für die Einhaltung der Tierwohl-Standards (RAUS) erhalten, wohl auf diesen Zustupf verzichten. Schneider hofft, dass dieser Wegfall durch höhere Preise kompensiert wird. Gleichzeitig soll der von billigen Importlebensmitteln verursachte Preisdruck wegfallen.
Was die Initianten fordern, ist gut nachvollziehbar und schont Umwelt und Klima. Doch die Frage ist und bleibt, ob der Zeitpunkt richtig ist und ob wir der Schweizer Landwirtschaft und unserer Ernährungssicherheit nicht mehr schaden als nutzen. Den Bauern wäre mit einem Systemwechsel am meisten geholfen, wenn sie den Fokus wieder auf Qualität statt Quantität richten könnten und dies sich finanziell auch lohnt. Denn mit den aktuell sehr tiefen Produzentenpreisen tun wir weder unserer Gesundheit noch der Umwelt etwas Gutes.
Quellen:
Homepage des Initiativkomitees: www.massentierhaltung.ch
Initiativtext: Eidgenössische Volksinitiative ‚Keine Massentierhaltung in der Schweiz (Massentierhaltungsinitiative)‘ (admin.ch)
-Homepage der Gegner: www.massentierhaltungsinitiative-nein.ch
Nutztiere haben es in der Schweiz so gut wie nirgendwo sonst – Schweizer Bauernverband (sbv-usp.ch)
RAUS-Richtlinien: Kontrolldienst KUT AG: RAUS – regelmässiger Auslauf
Interview mit Meret Schneider (Grüne): „Wir müssen den Konsum von Tierprodukten stark zurückfahren“ – SWI swissinfo.ch
Interview mit Marcel Dettling (SVP): „Die Schweizerinnen und Schweizer lieben Fleisch“ – SWI swissinfo.ch
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