Immer häufiger entscheidet das Stimmvolk an der Urne über die Zukunft der Landwirtschaft. Sollen auf den Schweizer Wiesen wieder mehr Kühe mit Hörnern grasen? Inwiefern kann der Konsum von regionalen Lebensmitteln durch die Fair-Food-Initiative gefördert werden? Diese und weitere Fragen führten bereits in der Vergangenheit zu angeregten Diskussionen. Und nun stehen weitere Initiativen vor der Abstimmung, die sich u.a. dem Einsatz von Pestiziden oder der Biodiversität widmen. Mucca.ch hat die wichtigsten Zahlen und Fakten zur Landwirtschaft in der Politik zusammengestellt.

Und die Schweiz ist mittendrin

In Zeiten der Unsicherheit, die von Hamsterkäufen aus Angst vor dem Coronavirus geprägt sind, wird einigen Leuten bewusst, wie abhängig die Schweiz als kleines Land ohne Meerzugang von Nahrungsmittelimporten und einem funktionierenden Flugverkehr ist: Schutzmasken-Lieferungen werden am deutschen Zoll gestoppt, die USA verhängen ein Einreiseverbot für Europäer und Italiens Lebensmittelexporte brechen ein. Was nun, wenn es in den Supermärkten plötzlich keine Bananen, Mangos und Ananas mehr gibt? Welches Schicksal droht der Swiss, wenn jeder zweite Flug gestrichen werden soll? Und wie sollen wir die Zwangsferien überbrücken, wenn Schwimmbäder, Bars, Kinos, Skigebiete und Fitnesscenter mitsamt den Schulen geschlossen bleiben?

Mit dem Ziel der Förderung einer möglichst umfangreichen und vom Ausland unabhängigen Lebensmittelproduktion kam Ende 2018  die Initiative für Ernährungssouveränität vors Volk. Sie verlangte den Schutz der heimischen Betriebe und den Konsum von vermehrt regionalen Produkten. Durch kostendeckende Produzentenpreise und höhere Anforderungen an Importprodukte – sie sollten dem Schweizer Standard entsprechen – wollte das Initiativkomitee u.a. verhindern, dass wie bis anhin rund 900 Familienbetriebe pro Jahr ihre Tore für immer schliessen. Weil viele die Vorlage als zu radikal ansahen, wurde sie im Rahmen der Abstimmung vom 23. September 2018 mit 68,4% Nein-Stimmen verworfen.

An diesem Tag gab es auch ein Nein (61,3%) für die Fair-Food-Initiative, die gesunde sowie umweltfreundliche und fair hergestellte Lebensmittel forderte. Sie verlangte, dass der Bund das Angebot an nachhaltig, tierfreundlich und fair produziertem Essen stärkt sowie Massnahmen gegen Food-Waster ergreift. Ausserdem hätten Lebensmittel nach Herkunft und Produktionsweise deklariert werden müssen. Weil die Forderungen der Initiative “grundsätzlich” auch für Importe galten und höhere Zölle für Produkte aus nicht nachhaltigem Handel oder schlechter Tierhaltung forderte, stand sie im Konflikt mit dem internationalem Handelsrecht. Dies war nebst steigenden Preisen infolge strengerer Kontrollen mitunter ein Grund, weshalb auch die Fair-Food-Initiative vom Stimmvolk bachab geschickt wurde.

Last but not least wurde 2018 darüber entschieden, ob Bauern finanzielle Anreize erhalten sollen, wenn sie Kühe und Ziegen mit Hörnern halten. Über die Hornkuh-Initiative hat Mucca.ch bereits ausführlich berichtet (hier klicken für Artikel).

 Was uns noch erwartet

Im Februar 2020 hat der Bundesrat die Botschaft zur Agrarpolitik 2022+ verabschiedet, um den Anliegen der Bevölkerung Rechnung zu tragen. Ziel sind unter anderem effizientere Betriebe und eine Reduktion der Umweltbelastung sowie des Verbrauchs von nicht erneuerbaren Ressourcen. Die bereits bestehenden Massnahmen zur Förderung der Biodiversität sollen weiterentwickelt und die Ehepartner sozial besser abgesichert werden. Der Grundgedanke ist vielversprechend.
Markus Ritter, Präsident des Schweizer Bauernverbandes, gibt jedoch zu bedenken, dass die zahlreichen Verschärfungen zu einer schlechteren Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Landwirtschaft und zu Problemen in der Versorgungssicherheit führen. Ritter schätzt, dass die Produktion (v.a. Ackerbau, Viehwirtschaft) bis ins Jahr 2025 um 13% sinken und der Bruttoselbstversorgungsgrad in derselben Zeit um 8% fallen wird. Die neuen Anforderungen führen zu erheblichen Mehrkosten und auch Mindererträgen, ohne dass dafür ein gleichwertiger Mehrwert am Markt erzielt werden kann. Mit der geplanten Regionalisierung der Agrarpolitik werden ungleiche Grundlagen für Familien in den verschiedenen Regionen geschaffen. Und trotz diesem Mehraufwand werden die Direktzahlungen gekürzt.
Ritter geht davon aus, dass die Agrarpolitik 2022+ die Schliessung von Betrieben nochmals beschleunigt (aktuell rund 1’000 pro Jahr schweizweit), da schon jetzt viele Landwirte einen zweiten Beruf annehmen müssen, um die Familie über Wasser zu halten.

Die kommenden Initiativen für sauberes Trinkwasser und eine Schweiz ohne synthetische Pestizide findet Ritter zu radikal und vor allem nicht umsetzbar für die kleinen Betriebe mit oftmals vielen Hochstammbäumen altbewährter Früchtesorten, die heutzutage aufgrund der vielen eingeschleppten Schädlinge ohne Spritzmittel schlicht keine geniessbare Ernte mehr abwerfen würden. Diese Einschränkungen werden zu einem Produktionsrückgang und schliesslich zu höheren Lebensmittelpreisen führen.
Am Ende entscheiden die Konsumenten.

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